Krise, Freude, Bananenkuchen

Freiheit!
Heute, am 15.10. bin ich zum ersten Mal seit knapp zwei Wochen wieder im Projekt. Draußen hört man das Hupen der vielen Taxis und Busse und weil ich heute meine Flasche vergessen hab, kann ich mir gleich im Kiosk nebenan ein Wasser für 70 Cent kaufen.
Das alles habe ich vor genau zwei Wochen noch für selbstverständlich gehalten und mich sogar über die Abgase der Busse aufgeregt, heute freue ich mich darüber.

Freiheit!
Denn vom 3.10. bis 13.10. befand sich ganz Ecuador im Ausnahmezustand.
Angefangen hatte alles damit, dass der Präsident die Subventionen für Treibstoff strich und der Preis so teilweise über 100 Prozent anstieg. Grund dafür war ein Kredit des IWFs über 4,2 Milliarden Dollar und Ecuadors Präsident Lenín Moreno wollte durch die Streichung der Subventionen die Schulden Ecuadors begleichen.
Die niedrig gehaltenen Spritpreise hatten vor allem die ärmere Bevölkerung über Wasser gehalten. Die Änderung betraf vorrangig Taxi- und Busfahrer, Transportwagenfahrer, Menschen die aufgrund ihrer Arbeit auf ein Auto angewiesen sind und insbesonders die indigene Bevölkerung, da sie einen Großteil der Landwirtschaft des Landes betreibt und ihre Ware auf Märkten in den Städten anbieten.

Am 2.10. bekamen wir Freiwilligen die Nachricht, dass am folgenden Tag alle Busse streiken und der Unterricht an jeder Schule ausfallen würde. Für mich bedeutete das auch, dass ich nicht ins Projekt gehen musste.
Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass nicht nur alle Busfahrer streikten, sondern auch die Taxifahrer. Der Verkehr wurde komplett lahmgelegt, da Taxis jede Kreuzung blockierten. Bei uns in Ambato gab es friedliche Proteste, jedoch artete der Konflikt in Quito und weiteren großen Städten schon in Gewalt aus, sodass der Präsident den Ausnahmezustand ausrief. Die Verfassung ermächtigt den Staatschef im Fall eines Ausnahmezustands zur Einschränkung der Pressefreiheit und zum Einsatz der Streitkräfte.
Am Abend gab es in den Nachrichten und im Internet schon erschreckende Bilder von brennenden Autoreifen, Demonstranten die Steine und Molotowcocktails auf schwerbewaffnete Polizisten werfen und wie diese mit Tränengas antworteten.
Auch am nächsten Tag gingen die Proteste und Streiks weiter, sodass der Verkehr im gesamten Land ein erneutes Mal lahmgelegt wurde. Zum zweiten Mal in Folge konnten Menschen, die ihren Arbeitsplatz nicht zu Fuß erreichen konnten, nicht arbeiten gehen.
Der Streik kam für mich ziemlich überraschend, weil ich vorher nichts von den höheren Treibstoffpreisen mitbekommen hatte.

Eigentlich hatten meine Mitfreiwilligen Mira, Gesche, Esther und ich geplant, am kommenden Wochenende nach Quito zu fahren, jedoch hielten wir das Ganze nach den Bildern der gewaltsamen Ausschreitungen in der Hauptstadt für keine gute Idee. Da nicht klar war, ob die öffentlichen Transportsektoren auch am nächsten Tag wieder streiken, beschlossen wir, falls möglich, nach Puyo zu fahren. Am Samstag fuhren tatsächlich wieder Taxis, von Bussen fehlte jedoch jede Spur.
Wir mussten also das Wochenende in Ambato verbringen. Alles fühlte sich normal an (außer dem Fakt, das eben immernoch keine Busse fuhren). Am Wochenende hatten die "Transportistas", die Gewerkschaften der Transportarbeiter, ihren Streik zunächst beendet, jedoch hörte man, dass sich nun indigene Gruppen im Land mobilisierten um zu streiken. Nichtsdestotrotz war ich voller Hoffnung, dass die Proteste ab Montag wieder abklingen würden.

Die CONAIE (Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors), mit einer Mitgliederzahl von drei Million, rief jedoch zum nationalen Streik auf und so übernahmen ab Montag, dem 07.10., die Indigenen das Ruder im Streik. Die Bevölkerung Ecuadors besteht übrigens zu 40% aus Indigenen, weshalb man von mehreren tausenden Demonstranten spricht. Viele reisten nach Quito, um vor Ort zu demonstrieren und im gesamten Land gab es Proteste.
Das, wovon wahrscheinlich alle am meisten betroffen waren, waren die Straßenblockaden. Mit Baumstämmen, Steinen und Feuer blockierten die Indigenen Fernstraßen, sodass weder Busse, noch Lebensmitteltransporter hindurch kamen. Außerdem besetzten sie Radiostationen, Erdöl-Förderanlagen und Wasserwerke. Der Unmut richtet sich dabei vor allem gegen den Präsidenten Lenín Moreno und seine Politik. Durch die Ausschreitungen setzten nun auch Polizei und Militär zum Teil starke Gewalt gegen Demonstranten ein, was ein Großteil der Bevölkerung sehr empörte. Außerdem sind die Reaktionen auf den mit dem Kredit des IWFs zusammenhängenden Sparplan sehr negativ. Allen voran fordern sie die Wiedereinführung der Subventionen auf Treibstoff.
Am Mittwoch war ein Generalstreik für das gesamte Land angesagt und auch hier in Ambato war sehr viel Polizei im Einsatz. Mittlerweile blieben fast alle Geschäfte geschlossen und die Krise wurde bekannt unter dem Namen "El Paro" ("Die Arbeitslosigkeit").

Die meisten anderen und ich mussten in der Zeit nicht ins Projekt gehen, aber da wir keine Lust hatten den ganzen Tag im Haus zu verbringen, trafen wir uns an manchen Tagen. Das Zentrum war kaum wiederzuerkennen: Gesperrte Straßen, Geschlossene Läden, protestierende Indigene. Die Stimmung war sehr trist und keiner fühlte sich wirklich sicher, da man auch schon gehört hatte, dass Einbrecher und Diebe sich die Situation zu Nutzen machten.
Eine gute Nachricht gab es aber: Nachdem wir ungelogen seit drei Wochen immer wieder darüber redeten, wie sehr wir Lust auf Banenenbrot hatten, fand Mira an einem Tag eine Bäckerei, die Bananenkuchen verkauft. Ein Stück kostet nur 50 Cent und schmeckt super gut!
Obwohl die Situation schwierig war, wussten sich die Leute hier jedoch zu helfen: Überall sah man Pick-Ups mit Menschen auf der Ladefläche und uns wurden viele Mitfahrgelegenheiten angeboten. Es stellte sich heraus, dass einige Leute mit ihren Autos die Busrouten abfuhren und einen für 50 Cent mitnehmen.

Als im Laufe der Woche in Ambato das Wasser durch das von den Indigenen besetzte Wasserwerk abgeschaltet wurde, der Präsident eine tägliche Ausgangssperre von 20:00-5:00 Uhr anordnete, das Regierungsgebäude teilweise gestürmt wurde und die Regierung für einige Tage ihren Sitz nach Guayaquil verlegte, verschärfte sich jedoch der Zustand. Immer mehr Indigene forderten eine Änderung und reisten nach Quito um sich den Massenprotesten anzuschließen. Zu dem Zeitpunkt waren 85% aller Landstraßen in Ecuador blockiert.
Auch wir Freiwilligen machten uns langsam ernsthafte Sorgen und fragten uns was passierte, wenn wir nach Hause müssten. Da ich schon gehört hatte, dass es durch die immernoch blockierten Landstraßen in einigen Städten Engpässe bei der Lebensmittelversorgung gab, befürchtete ich, dass dasselbe bald auch in Ambato passieren würde. Und tatsächlich konnten meine Gastmutter und ich am Samstag, den 12.10. keine Milch mehr kaufen, da sie in jedem Laden ausverkauft war. Generell waren die Regale im Supermarkt nur noch sehr dürftig befüllt.

Einen Tag später gab es einen öffentlichen Dialog zwischen Ministern, Anführern verschiedener Indigenengruppen und dem Präsidenten. Das Gespräch ging über mehrere Stunden und wurde live im Fernsehen übertragen. Um 22:00 Uhr gab es dann die gute Nachricht: Terminó El Paro! Der Streik ist vorbei, da die Spritpreissubventionen wieder eingeführt werden. Im ganzen Land gingen Leute auf die Straßen um ausgiebig zu feiern.

Nichtsdestotrotz sind die Ergebnisse der 10 Tage ernüchternd: Es gibt 6 Tote, fast tausend Verletzte und über 1200 Festnahmen. Der Präsident wird mit den Indigenen einen neuen Vertrag aushandeln. Ich freue mich natürlich, dass wieder alles beim Alten ist, aber glaube trotzdem, dass man die derzeitige scheinbar friedliche Lage nicht unterschätzen darf.

Vielleicht fragt Ihr euch, wie ich zu dem Ganzen stehe und wie es mir geht. Generell geht es mir hier gut. Auch während des Streiks ging es mir gut. Ich konnte währenddessen mehr Zeit mit meiner Gastfamilie verbringen und bin auch ziemlich oft mit meinem Hund spazieren gegangen. Natürlich war die ganze Situation mit dem Streik sehr erschreckend, aber ich konnte auch viel daraus lernen:
  • Es kann sich alles sehr schnell ändern. Anfangs fing alles sehr "harmlos" an, jedoch entwickelte sich der Konflikt sehr schnell und die Lage wurde rasch unüberschaubar und gefährlicher. Am ersten Tag des Streiks hätte ich niemals damit gerechnet, dass er länger als eine Woche dauert und sogar so sehr ausartet, dass es am Ende Tote gibt. Ich habe gelernt, dass man hier politische Probleme sehr ernst nehmen muss. In Deutschland hatte ich oft das Gefühl, dass Demonstrationen nicht direkt und vor allem nicht so schnell etwas verändern, weswegen ich hier anfangs auch nichts anderes erwartet hatte. Es kam jedoch sehr anders. Die Indigenen haben es geschafft, ihre Forderung nach zehn Tagen des Streiks durchzusetzen, indem sie fast den gesamten Verkehr und die Wirtschaft des ganzen Landes lahmgelegt hatten. Genauso schnell, wie der Streik der Bus- und Taxifahrer in einen Streik der ganzen Bevölkerung gewandelt ist, wurden die Subventionen auch wieder eingeführt. Lenín Moreno hatte noch wenige Tage vorher gesagt, er würde an seinem neuen Gesetz festhalten, aber hat das Dekret letztlich doch zurückgezogen.
  • Ich nehme vieles hier nicht mehr für selbstverständlich. Diese zehn Tage Streik haben mir gezeigt, dass es ohne Busse und Taxis wirklich sehr schwierig ist, sich hier zu bewegen. Ich kann nicht einfach meine Gastmutter fragen, ob sie mich mal eben ins Zentrum fährt. Ich bin sehr dankbar für das weit ausgebaute Busnetz in Ecuador, mit dem man wirklich günstig überall hinkommt. Außerdem bin ich dankbar, dass ich mir kurzfristig nach der Arbeit beim Markt vier Avocados oder zwei Mangos für umgerechnet 90 Cent kaufen kann, da die Indigenen dort jeden Tag ihre Ware vekaufen. Ich bin sehr dankbar, dass wir uns hier wieder frei bewegen können, sodass wir ab sofort wieder jedes Wochenende Ausflüge machen können. Ich hoffe die Lage verschlechtert sich nicht nochmal.
  • Es gibt für alles irgendwie eine Lösung. Als wir hörten, dass die Indigenen das Wasserwerk besetzt hatten, fingen wir an Wasser in Blumentöpfen zu sammeln. Zum Glück wurde bei uns das Wasser letztendlich doch nicht abgestellt. Gesche, eine andere Freiwillige, hatte mehrere Tage kein Wasser mehr, doch durch zuvor gesammeltes Wasser konnte einwandfrei  gespült und auch das Klo benutzt werden. Nach einigen Tagen erreichte auch ein großer Wassertransporter ihren Wohnblock, der eine Stunde Wasser pro Tag zur Verfügung stellte. Neben dem Wasser habe ich ja schon von den Camionetas gesprochen, also dass verschiedene Leute die Busrouten mit ihren Privatautos abgefahren sind, sodass man trotz fehlender Busse und Taxis problemlos günstig zum Ziel kommen konnte.
  • Ich schätze die Sicherheit und das Vertrauen in den Deutschen Staat sehr. Durch den Ausnahmezustand hat der Präsident noch mehr Entscheidungsfreiheit und hat die Demokratie eingeschränkt. Durch die Einschränkung der Pressefreiheit wusste man nie, ob die Nachrichten der Wirklichkeit entsprachen. Außerdem habe ich mich trotz teils ungewisser Lage sicher gefühlt, da mich während der Krise mehrere E-Mails des Auswärtigen Amts mit Sicherheitshinweisen und Updates über die Lage erreichten.
Da das Leben jetzt erstmal (und hoffentlich auch bis zum Ende meines Aufenthalts) normal weitergeht, kann ich mich jetzt auch wieder auf die wesentlichen Dinge konzentrieren: Mein Projekt, das Reisen, meine Freizeitgestaltung und natürlich auf das Leben mit meiner Gastfamilie.

 ¡Hasta Pronto!
Beim Spazierengehen mit Sparky
Fluss in der Nähe unseres Hauses



Große Erleichterung nachdem der Streik vorbei ist

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abbruch meines FSJ (durch Corona)

Weihnachten in der Familie & Silvester am Strand

Update #2: Ein Drittel ist vorbei